Der innere Ort unseres Handelns

Am Anfang einer jeden Veränderung von Systemen steht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den beobachtbaren Symptomen und den tieferliegenden Kernursachen, die für die Symptome verantwortlich sind.

Das Denken in Systemen hat sich diesbezüglich in den letzten Jahrzenten verändert. Zunächst lag der Fokus auf den Strukturen, später mehr auf den darunter liegenden mentalen Modellen und Gedankenmustern. In der jüngeren Vergangenheit kam es zu der Erkenntnis, dass darunter noch eine Ebene der Quelle des Bewusstseins oder der Aufmerksamkeit liegt – der Quelle unserer Kreativität, unseres Handelns und unserer Identität bzw. unseres Seins.

Die Theorie U (Von der Zukunft her führen – Theorie U in der Praxis – Von der Egosystem- zur Ökosystem-Wirtschaft) von C. Otto Scharmer und Katrin Käufer behandelt das Aufmerksamkeits-basierte Verändern von Systemen und geht von drei Annahmen bzw. Prinzipien aus:

  1. Man kann ein System nur verstehen, wenn man es ändert. (Kurt Lewin)
  2. Man kann ein System nur verändern, wenn man das Bewusstsein verändert bzw. transformiert.
  3. Man kann das Bewusstsein nur verändern, wenn man das System dazu bringt, sich selbst zu sehen und zu spüren.

Insbesondere die Annahme 3 macht dabei den Kern der Theorie U aus. Es geht also um die zentrale Frage, wie die „Qualität der Ergebnisse, die von einem beliebigen System hervorgebracht werden, […] von der Qualität des Bewusstseins ab[hängen], aus dem heraus die Menschen im System handeln (Scharmer/Käufer, S. 32).

„Der Erfolg einer Intervention hängt von der inneren Haltung des Intervenierenden ab.“

William O‘Brien
früherer CEO von Hanover Insurance Company
(zitiert in Scharmer/Käufer, S. 32)

Die Qualität des Bewusstseins bzw. der Aufmerksamkeit – beim Individuum, wie im Kollektiv – mit der wir Menschen handeln, entscheidet darüber, wie wir das Verhalten von Systemen verändern können.

Oder anders gesprochen: Die Überlegungen basieren auf der These, dass wir “den inneren Ort, aus dem wir handeln, verändern müssen“ (Scharmer/Käufer, S. 14).

Das führt zu der Unterscheidung von vier Bewusstseinsebenen, die sich sehr gut am Beispiel des Zuhörens deutlich machen lassen:

Ebene 1: Die Quelle der Aufmerksamkeit bzw. der Ort, von dem aus man zuhört, liegt innerhalb der Begrenzungen des eigenen vorhandenen Wissens. Man hört nur, was man bereits weiß. Alles Gehörte bestätigt die eigenen Meinungen und (Vor-) Urteile. In der Theorie U wird das als Downloading oder herunterladen bzw. als gewohnheitsmäßiges Zuhören bezeichnet. Erkennen kann man das daran, dass Stille im Gespräch peinlich ist und gefüllt werden muss.

Der Wechsel zur Ebene 2 setzt die Öffnung des Denkens voraus, erfordert Neugier und die Fähigkeit, innezuhalten und auf neue Art und Weise zu sehen.

Ebene 2: Die Quelle der Aufmerksamkeit liegt auf der Grenze des eigenen Wissens. Man hört das, was sich vom eigenen Denken, von dem, was man bisher weiß, unterscheidet. Ebene 2 wird als faktisches Zuhören bezeichnet. Stille ist (an-) gespannt, was kommt als nächstes.

Der Wechsel zur Ebene 3 setzt die Öffnung des Herzens voraus, erfordert die die Fähigkeit, sich selbst zu öffnen, sich selbst wahrzunehmen, sich in den anderen hineinzufühlen, den anderen wahrzunehmen und Mitgefühl zu entwickeln.

Ebene 3: Die Quelle der Aufmerksamkeit bzw. des Zuhörens liegt beim Anderen. Man nimmt die Situation aus der Sicht des Anderen wahr, was zu einer emphatischen Beziehung führt. Stille im Gespräch ist angenehm. Ebene 3 wird als emphatisches Zuhören bezeichnet. Bis hierhin ist das auch alles bekannt.

Der Wechsel zur Ebene 4 setzt die Öffnung des Willens voraus, erfordert die Fähigkeit loszulassen, etwas Neues kommen zu lassen.

Ebene 4: Die Quelle der Aufmerksamkeit und des Zuhörens liegt im Ganzen und im neu Entstehenden. Die Aufmerksamkeit richtet sich zurück auf die Quellen des eigenen Selbst. Ebene 4 wird als schöpferisches Zuhören bezeichnet. Sie entsteht eher, als dass sie zielgerichtet gestaltet werden kann. Stille ist inspirierend.

Die Ebenen 1 bis 3 sind mir mehr oder weniger vertraut. Ich muss aber gestehen, dass mir Ebene 4 noch ziemlich fremd ist und ich mich nicht bewußt an eine solche Situation erinnern kann.

Aktuell läuft am MIT ein Online-Kurs zur Theorie U, in dem unter vielen anderen auch diese Technik des Zuhörens geübt wird . Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt. Mehr zum Kurs, zu dem auch jetzt noch eine Anmeldung möglich ist, gibt es hier. Gerne stehe ich auch zu einem Austausch zur Verfügung.

Adieda!

Ein Gedanke zu “Der innere Ort unseres Handelns

  1. Sehr schöner Artikel und vor allem Inhalt. Sollte mir doch das Buch mal kaufen . Die 4. Ebene erreiche unter anderem durch Meditation oder Eingebungen, aus der Intuition, die ich keinem rationalen Wissen zuordnen kann. Es können auch ganz einfache Erlebnisse sein, wie zum Beispiel einen Menschen kennenlernen, dem ich mich sofort verbunden fühle, als wenn wir uns schon ein Leben lang kennen. ☺️

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