Was haben wir eigentlich für Probleme?

Ich hatte das vor sechs Tagen schon zitiert. Der Klappentext des Buches Von der Zukunft her führen – Theorie U in der Praxis – Von der Egosystem- zur Ökosystem-Wirtschaft bringt es auf den Punkt: “Finanzkrise, Klimakatastrophe, Flüchtlingsströme, Fundamentalismus – wir leben in einem Zeitalter zerstörerischen Wandels. Die alten Denkweisen des maximalen Konsums und von Einzelinteressen getriebene Entscheidungsprozesse stoßen an ihre Grenzen. Der Zustand organisierter Verantwortungslosigkeit produziert Ergebnisse, die niemand wirklich wollen kann.”

Was ist dabei das Problem?

Nach der Überzeugung von Scharmer und Käufer gibt es drei von ihnen als Bruchlinien bezeichnete Bereiche, an denen soziale und ökonomische Kräfte so aufeinanderwirken, dass sie heute wie Abgründe wirken (Scharmer/Käufer, S. 52 ff.):

  • der ökologische Abgrund an der Bruchlinie zwischen uns Menschen und unserer Beziehung zur Natur und zur Erde,
  • der soziökonomische Abgrund an der Bruchlinie zwischen uns Menschen und unseren Beziehungen zu anderen Menschen sowie
  • der spirituelle Abgrund an der Bruchlinie zwischen uns Menschen und der Beziehung zu uns selbst.

Die drei Abgründe hängen miteinander zusammen und werden in acht von Scharmer und Käufer als strukturelle Entkopplungen bezeichnete Problembereiche unterschieden (Scharmer/Käufer, S. 61 ff.):

  • Das ökologische Problem wird deutlich an einem Ressourcenverbrauch, der aktuell 1,5-mal größer ist als das Regenerationsvermögen der Erde. Ein Grund ist der Widerspruch zwischen dem “Gebot” des unbegrenzten Wachstums und den begrenzten Ressourcen unseres Planeten.
  • Das Einkommensproblem wird deutlich in globalen und nationalen Ungleichheiten in Bezug auf das Vermögen. Die obersten 1 Prozent der Weltbevölkerung besitzen mehr Vermögen als die unteren 90 Prozent.
  • Das Finanzproblem wird deutlich in einer wachsenden Kluft zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Finanzblase (3,5-mal so viel Finanzinvestitionen wie globales BIP), Profitblase (riesige Profite im Finanzsektor im Gegensatz zu denen in der übrigen Wirtschaft) und Vergütungsblase zeigen, dass Geld und Kapital nicht mehr in ausreichendem Maße der Realwirtschaft zur Verfügung stehen und dienen, sondern ihr schaden.
  • Das Technikproblem wird deutlich, wenn mit technischen Lösungen Symptome korrigiert werden, anstatt die zugrundeliegenden Grundursachen systemisch zu lösen.
  • Das Führungsproblem wird deutlich, indem wir kollektiv Ergebnisse hervorbringen, die die Masse eigentlich nicht will. Ein Grund ist, dass die Entscheidungsträger immer mehr von den Folgen ihrer Entscheidung getrennt sind, sie müssen keine Verantwortung für die Folgen ihres Handelns übernehmen. Wir kommen an die Grenze der traditionellen Top-down-Führung in den Organisationen.
  • Das Konsumproblem wird darin deutlich, dass größerer materieller Konsum ab einer – wenigstens von uns schon länger erreichten – Schwelle nicht weiter zu größerer Gesundheit und Zufriedenheit führt. Der ökonomische Prozess ist getrennt von den tieferen Quellen von Glück und Wohlbefinden.
  • Das Governance-Problem wird deutlich, weil wir als globale Gemeinschaft die Probleme auf der Ebene des Gesamtsystems nicht lösen können. Eine Ursache ist, dass unsere Koordinationsmechanismen die Krise der Allgemeingüter nicht lösen können. Markt und Wettbewerb funktionieren nur bei privaten Gütern. Innovationen auf der Ebene des Gesamtsystems brauchen dem Markt vorgeschaltete Kooperations- und Koordinationsprozese.
  • Das Eigentumsproblem wird deutlich an der massiven Übernutzung knapper Ressourcen. Ein Grund liegt in der Entkopplung der aktuellen Besitzformen und der im Interesse künftiger Generationen und des Planeten besten gesellschaftlichen Nutzung insbesondere unserer ökologischen Gemeingüter.

Die Problembereiche werden durch die darunter liegenden ökonomischen Denkmodelle bestimmt:

“Die heutige reale Wirtschaft ist ein Set von höchst interdependenten Ökosystemen, aber das Bewusstsein der darin handelnden Akteure ist in ein Set von Egosystemen zersplittert. Anstatt das Ganze zu erfassen, ist die Aufmerksamkeit auf dessen kleinste Subteile beschränkt. Die Lücke zwischen der Wirklichkeit des Ökosystems und dem Egosystem-Bewusstsein könnte sehr wohl die wichtigste Führungsherausforderung unserer Zeit sein – in der Wirtschaft, in der Regierung und in der Zivilgesellschaft.” (Scharmer/Käufer, S. 86 f.)

Auf dieser Basis entwickeln Scharmer/Käufer Ansatzpunkte für die ökonomischen Denkmodelle, “um die acht Akupunkturpunkte tieferen systemischen Wandels zu erforschen:“ (Scharmer/Käufer, S. 97 f.)

  1. Ökonomie und Natur nur noch als geschlossenes Kreislaufsystem verstehen, statt ”Take, make, and throw away“-Prinzip (”Nimm, nutze, wirf weg“),
  2. Beruf wieder zur Berufung machen, also mit Leidenschaft und Sinn verbinden,
  3. die Finanzwirtschaft wieder dazu bringen, dass sie der Realwirtschaft dient,
  4. Informationstechnologie, erneuerbare Energien und soziale Technologien so kombinieren, dass damit individuelle und kollektive Kreativität freigesetzt wird,
  5. durch kollektive Führung Innovationen auf der Ebene des Gesamtsystems generieren,
  6. Wohlbefinden für alle durch bewusste Konsumenten als gleichberechtigte Partnern in der Ökonomie
  7. das Bewusstsein vom Egosystem zum Ökosystem verschieben und damit den Konflikt zwischen den Teilen und dem Ganzen auflösen sowie
  8. den besten gesellschaftlichen Nutzen von knappen Ressourcen und Gemeingütern fördern durch Innovationen bei den Eigentumsrechten.

Der Lösungsansatz

Scharmer und Käufer schlagen vor, vom vorherrschenden Egosystem-Bewusstsein, das sich auf das Eigenwohl konzentriert, auf ein Ökosystem-Bewusstsein umzustellen, das auf das Wohl aller, auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Dabei sollte nicht gegen die alten Muster angekämpft, sondern “aus einer im Entstehen begriffenen Zukunft heraus agiert werden”.

Im nächsten Teil wird es dann um den inneren Ort unseres Handelns gehen.

Adieda!

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